Jan Müller, oder: Was ist mit der Jugend los?

Sie seien angepasst, heißt es. Langweilig und ohne große Ziele. Stimmt das wirklich? Das typisch deutsche Jugendzimmer der Werbeagentur Jung von Matt gibt Einblick in die deutsche Jugendseele.

Wie die Jugend fühlt und denkt wird bald unsere Gesellschaft nachhaltig prägen. Wie sie kommuniziert und arbeitet, sich streitet und verträgt entscheidet über die nächsten Jahrzehnte.Wer heute weiß, was die Jugend bewegt, der kann erahnen, wie das Land morgen aussehen könnte. War die Kluft zwischen den Generationen schon immer geprägt von einschneidenden gesellschaftlichen Erlebnissen wie Krieg oder Wohlstand, so kommt mit Smartphone und Computer heute ein weiterer Baustein zur Gestaltung der Zukunft hinzu.

Die Kommunikation verändert sich und die Eltern stehen teilweise ratlos da. Entweder weil sie nicht mehr begreifen, was Whatsapp und Facebook mit dem echten Leben da draußen zu tun haben – oder der Faszination selbst erlegen sind und sich nun von ihren Kindern maßregeln lassen müssen, das Handy doch bitteschön wenigstens während der Mahlzeiten mal wegzulegen.

Studien über die Zukunft gibt es zu Hauf. Doch lässt sich das Lebensgefühl, das so anders ist als das der Älteren, damit wirklich nachempfinden? Nein, haben sich der Werber der Agentur Jung von Matt gesagt. Mitten in ihrer Agentur in Stuttgart haben Sie darum das Jugendzimmer von Jan Müller nachgebaut. Jan Müller, so heißt der durchschnittliche Jugendliche und damit Sohn von unserem Thomas Müller. Klar, dass Christian Heynen sich das nicht entgehen lassen wollte.

In der schicken Agentur angekommen, wo alles nach Werbung und Coolness aussieht, wurde Christian von Mark Wilms, Geschäftsführer Jung von Matt/Neckar und Stratetic Planner Johanna Sieveking in Empfang genommen. Auf dem Weg durch die langen Gänge konnte er direkt seine erste Frage loswerden. Warum macht sich eine Werbeagentur, die doch eigentlich Produkte gut aussehen lassen soll, so viel Arbeit mit praktischer Forschung?

Da war Christian erstmal baff: Erstaunlich realistisch sieht es aus, das Jugendzimmer. So als wäre Jan nur mal kurz raus. Dabei sitzen auf der anderen Seite der Wände Menschen mit modernen Brillen und denken sich, gebeugt über digitale Zeichentische, neue Kampagnen für fettarmen Joghurt oder was sonst noch aus.

Vieles, was Christian hier zu sehen bekommt, erinnert tatsächlich an das, was man selbst aus der eigenen Jugend kennt. Bis hin zur Dekoration. Die zeigt sehr deutlich, dass in diesem Zimmer wohl ein Mensch lebt, bei dem sich gerade eine Menge verändert, wie Mark Wilms an einem kleinen, aber doch eindrucksvollen Beispiel zeigt.

Aber ist das wirklich mehr als nur ein Bauchgefühl, ein Mischung aus akribischer Beobachtung und nostalgischer Erinnerung an die eigene Jugend? Ist Hellholz wirklich der universale Werkstoff, aus dem jugendliche Wohnträume sind? Ja, sagen die Werber. Alles mit seriösen Studien belegt.

Für ein Durchschnittszimmer lässt sich hier erstaunlich viel Individualität entdecken. In der Jugend will man noch dazugehören. Doch je älter man wird, desto weniger möchte man sein, wie alle anderen. Der Blick in das Jugendzimmer – wie auch der Blick in das durchschnittliche erwachsene Wohnzimmer, den Jung von Matt ebenfalls gewagt hat – zeigt: Das ist so eine Sache mit der Individualität. Für Mark Wilms ist das auch völlig klar und könnte gar nicht anders sein.

Ob Durchschnitt oder nicht: So ein Jugendzimmer ist ein eigener kleiner Kosmos, der zu einer Entdeckungsreise einlädt. Vorlieben, Vorbilder und Vorleben sind an Wänden, Schränken und Bettwäschemotiven erkennbar. Begrenzt auf etwas mehr als 14 Quadratmetern gleicht der Raum einem halbdurchlässigen Kokon, in dem eine Verwandlung stattfindet. Johanna Sieveking beschreibt, was alles in diesem Raum passiert. Das Bild, das sie wählt trifft, wenn Sie sagt, dass...

Und wie fühlt er sich nun also, dieser durchschnittliche Jugendliche? Man hört da ja so einiges. „Intelligent, nett, kompatibel“, beschreibt es „stern.de“ in einer Zusammenfassung einer Studie der Uni Darmstadt. Jugendforscherin Sabine Maschke sagt, es sei eine „sehr sympathische Generation, die smart versucht, das Leben zu meistern“. Flexibilität sei angesagt, wenn es darum geht, das Leben zu meistern.

Unsichere Aussichten in einer sich rasant verändernden Welt treiben die Jugend um. Zu jeder Zeit stehen Tausende von Möglichkeiten bereit. Der Nachwuchs muss entscheiden, abwägen und sich immer wieder neu orientieren. Entgegen einer weit verbreiteten Auffassung der alten 68er-Haudegen ist die Jugend übrigens auch gar nicht so unpolitisch wie ihr Ruf. Allerdings engagieren sie sich eher für Themen als für Parteien. Es geht ihnen weniger um politische Prozesse als um konkrete Problemlösungen. "Die Jugendlichen möchten sich viel mehr in Projekten engagieren, in zeitlich begrenzten Projekten und sie wollen auch einen direkten Vorteil davon haben", sagt zum Beispiel Forscher Marc Malmbach in einem Beitrag der Deutschen Welle.

Auch wenn die Armut in Deutschland ein Thema ist, das größer und größer wird, so ist die Jugend in der Breite doch nach wie vor vom Wohlstand geprägt. Und den will der durchschnittliche Jan Müller offenbar auch behalten…

Wie bitte kann das denn sein? Jan Müller steckt doch mitten in der Pubertät. Wo sind denn die typischen Jugendprobleme? Offenbar geraten die momentan mehr und mehr in den Hintergrund. Als freundschaftlich wird das Verhältnis zu den Eltern oft beschrieben. Manchmal auch eine Spur zu freundschaftlich, so dass das Erlernen von Konflikten und die Abnabelung auf der Strecke bleiben.

Gleichzeitig nimmt durch das neue, schnelle und modulare Bildungssystem der Druck spürbar zu. Das singt übrigens auch Casper auf seinem Album, das im Jahr 2012 gewaltig einschlug. Und so kümmern sich die Eltern mittlerweile offenbar um alles, kreisen um ihre von der Vielfalt gebeutelten Kinder. Helikopter-Eltern heißt das Phänomen.

Der „Lobgesang einer behüteten Tochter“ liest sich bei „Spiegel Online“ so: „Wenn ich mich mit meinem Freund gestritten habe, fuhr ich nach Hause und weinte mich aus. Bevor ich eine Bewerbung abschicke, korrigiert meine Mutter die Rechtschreibfehler. Und wenn ich einen Artikel schreibe, frage ich meinen Vater, wie er ihn findet.“ Und wo wird da noch gegen die Alten aufbegehrt? Gar nicht, weiß Mark Wilms.

Das klingt ja eigentlich ganz schön. Ist langfristig aber doch nicht ganz unproblematisch. So hieß es kürzlich in der FAZ: „Die erste Generation überbehüteter Kinder bevölkert die Universitäten. Die Zumutungen des alltäglichen Lebens sind ein Schock - für alle Beteiligten.“. Wenn man der Band Kraftklub glauben darf, dann finden auch manche Jugendlichen selbst diese Entwicklung bedenklich. „Unsere Eltern kiffen mehr als wir, wie soll man rebellieren?“ singen sie in ihrem Song „Zu jung“. „Egal wo wir hinkommen, unsere Eltern waren schon eher hier“, heißt es da.

Wie auch immer man es bewertet: Die Welt des Jan Müller ist gegenwärtig erstaunlich heile. Das zeigt auch die Tatsache, dass seine Freundin zu jeder Zeit bei ihm übernachten darf. „Das bisschen Abenteuer, was er in seiner Welt haben möchte, kann er auch zuhause haben“, erklärt Wilms. Abenteuer gibt es mittlerweile ohnehin überall. Die Welt da draußen ist durch das Internet allgegenwärtig. Zeit und Raum spielen in der neuen Kommunikationswelt nur noch eine untergeordnete Rolle.

Jeden Tag ist der Durchnittsjugendliche 140 Minuten lang online und er hat 196 Facebookfreunde. Donnerwetter! Lebt er denn nur noch in dieser virtuellen Welt? Hat er denn überhaupt noch richtige Freunde? Ganz so einfach lässt sich diese Frage allerdings nicht beantworten.

Es gibt wohl kaum eine Generation, in deren Leben die Medien eine derart große Rolle einnehmen, wie bei Jan Müller. Sieht man mal von kirchlichen Inszenierungen als Medium ab. In ihrer Analyse kamen die Werber zu dem Ergebnis, dass Jan und seine Freunde täglich neun Stunden Medieninhalte konsumieren. So viel Zeit muss man erstmal haben. Kein Wunder, dass da kein Raum mehr bleibt, sich zu bewegen wie Fitnesstrainer Chris Ley bemängelt. Oder ist es ganz anders? Ist das vielleicht wieder so ein Statistik-Ding? Also wenn die Studie sagt, es werden neun Stunden Medien konsumiert, dann...

Gut. Wäre das geklärt. Also kümmert sich Jan nicht nur um seinen Kopf, sondern auch den Körper. Immerhin das beruhigt. Bliebe nur noch zu klären, was für Jan eigentlich 'typisch deutsch' ist. Stellt er sich die Frage überhaupt? Wer jenseits der 30 ist, für den hat das Attribut deutsch ja nicht selten einen negativen Beigeschmack, der an übertrieben penible Eigenschaften erinnert. Doch auch das hat sich wohl geändert.

Und wie sieht es nun im wirklichen Alltag aus? Wie viel vom Jugendzimmer der Agentur steckt draußen im echten Leben? Für seinen Film wollte Christian Heynen es genau wissen. Darum hat er Jan Müller besucht. In seinem Zimmer. Im echten Leben und fernab aller theoretischen Studien. Ob die Werber Recht behalten? Die Antwort gibt es ab dem 20. März im Kino!

Text: Jochen Voß
Kamera: Andreas Köhler

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