Wie trauern die Deutschen, Herr Roth?

Im Tod sind alle gleich. Aber gehen die Deutschen vielleicht anders damit um? Bestatter David Roth weiß es. Im Gespräch erklärt er die deutsche Sterbekultur und warum er befürchtet, dass die Deutschen irgendwann komplett verschwinden.

Wie trauern die Deutschen, Herr Roth?

Die Deutschen trauern heute fast gar nicht mehr. Der Tod ist anonym und nicht mehr Teil unserer Gesellschaft. Wir glauben nicht mehr daran, dass es normal ist, traurig zu sein. Weil wir mit unseren Emotionen nicht mehr umgehen können, steht in den Todesanzeigen, von Beileidsbekundungen am Grab bitten wir abzusehen'. Dabei ist es doch so: Wer sich mit dem Tod beschäftigt, der weiß auch wieder, was Leben ist – leider werden Tod und Trauer bei uns in Deutschland viel zu oft verdrängt.

Welche Rolle spielt der Tod bei uns heute?

In unserer leistungsbezogenen Gesellschaft geht es darum, auch nach einem Trauerfall direkt wieder zu funktionieren und keine Schwäche zu zeigen. Man sieht ja heute auch niemanden mehr schwarz tragen, wie es früher üblich war. Bei einem Todesfall bekommen wir maximal zwei bis drei Tage Sonderurlaub. Und das auch nur bei unseren nächsten Angehörigen. Weil alles schnell gehen muss, können wir oft gar nicht mehr an einer Beerdigung teilnehmen. Da heißt es dann in der Firma: Lass dich nicht so hängen. Dadurch werden viele Menschen sehr verunsichert und glauben, wenn wir uns nicht mit dem Tod befassen, tut er auch nicht weh. Wir können aber die Erinnerung und Trauer nicht steuern. Auf einmal kommt dann etwas hoch, das uns traurig macht. Das ist dann natürlich umso heftiger, weil wir gar nicht wissen, wie uns geschieht.

Haben wir früher anders getrauert?

Früher hatte der Tod eine viel größere Bedeutung. Da war es ganz normal, dass die Verstorbenen zu Hause in der 'guten Stube' aufgebahrt wurden. Die Familie und Freunde kamen zusammen, beteten und weinten . Es wurde getrauert aber auch gesungen, gegessen, getrunken, gelacht und sich gemeinsam erinnert. Seit dem letzten Weltkrieg gibt es diese Traditionen fast so nicht mehr. Der Verstorbene wird oft direkt aus dem Haus gebracht. Das nächste, was wir dann sehen, ist eine Holzkiste oder eine kleine Urne, von der keiner wirklich weiß, was tatsächlich drin ist.

Wie offen gehen wir in unseren Familien mit dem Tod um?

Wir reden nicht mehr genug miteinander. Die Älteren sind heute sehr bescheiden und möchten niemandem zur Last fallen. Das ist vielleicht auch ein Grund, warum sich die Jüngeren nicht trauen, dieses heftigere Thema anzusprechen.

Wie sieht eine typisch deutsche Beerdigung aus?

Die typisch deutsche Beerdigung ist die Erdbestattung mit einem christlichen Geistlichen. Aber es verändert sich. Feuerbestattungen werden immer häufiger. Aus der Schweiz kommt die Idee der Baumbestattungen. In den letzten fünf Jahren haben sich bis zu zwanzig Prozent der Menschen in Deutschland für diese Form entschieden. Das passt auch zum neuen Trend der Anonymität.

Gibt es Regionen, in denen der Tod präsenter ist als woanders?

In ländlicheren Gegenden mit sehr traditionellen Gemeinschaften in einem Dorfverband ist es heute noch sehr wichtig, dass die Grabstätte sauber und gepflegt ist. Natürlich ist auch das ein Auslaufmodell, weil die Jugend nicht mehr im Emsland oder in der Eifel arbeitet. Friedhöfe sind heute leider keine lebendigen Orte mehr. Früher hat man die Grabstätte seiner Eltern vierzig, fünfzig Jahre lang gepflegt. Heute sind die Hinterbliebenen mobiler, leben in anderen Städten. Der Friedhof ist nicht mehr der Ort, an dem man seine Erinnerungen aufleben lässt.

Warum gibt es bei uns keine offenen Särge?

Viele Menschen haben Angst einen Toten anzuschauen. Der verschlossene Sarg in Deutschland resultiert aus dieser Angst. Das hängt sicher auch mit den Erfahrungen aus den Weltkriegen zusammen, wo unter den Trümmern in den Häusern einfach tausende Menschen tot lagen. Damals gab es einfach ein Übermaß an Tod in unserer Gesellschaft – und das unter grausamsten Umständen. Um den Tod zu begreifen, ist es aber wichtig, den Verstorbenen zu sehen. Er sieht in der Regel ganz friedlich aus, ohne Fratze des Grauens. Im Gegenteil: Alle Muskeln sind entspannt und auch die berühmte Leichenstarre lässt nach 48 Stunden wieder nach.

Das heißt, Sie befürworten es, den Toten noch mal aufzubahren, so wie es zum Beispiel in den USA üblich ist?

Grundsätzlich ja, aber Amerika ist kein gutes Beispiel. Dort werden die Toten häufig einbalsamiert und fast immer geschminkt. Das ist für mich auch eine Form der Verleugnung, denn man sieht dort nicht wirklich das Vergängliche oder das Sterbliche, sondern jemand, der wirkt, als würde er schlafen.

Wie bürokratisch ist unsere Bestattungskultur?

Deutsche Bestattungen sind extrem bürokratisch geregelt. Das Gesetz zum Bestattungszwang ist fast einzigartig auf der Welt. In Amerika oder auch in Holland ist es möglich und gar nicht so selten, dass Urnen zu Hause aufbewahrt werden. In Deutschland glauben wir aber, dass wir mit den Urnen schlecht umgehen würden. Bei einem Sarg, der einen Körper enthält, kann ich das noch nachvollziehen, aber was kann man mit einer Urne falsch machen? Das ist reine Bevormundung.

Was sieht die deutsche Regelung konkret vor?

Ein Verstorbener darf nur 36 Stunden zu Hause bleiben. Den Grund dafür kennt niemand. Wer aber jemanden länger zu Hause behalten möchte, wird nicht angehört. Leider hinterfragen wir das zu selten. Wir Deutschen sind sehr obrigkeitsgläubig und trauen uns selber immer weniger zu.

Was glauben die Deutschen, was nach dem Tod kommt?

Der christliche Glaube, der Kontakt zur Religion insgesamt nimmt ab. Etwa ein Drittel der Menschen, die in unserer ländlichen Gegend zu uns kommen, haben vielleicht noch eine tatsächliche Verbindung zur Kirche. Im christlichen Glauben gibt es die Hoffnung, dass da etwas ist und wir vielleicht irgendwann wieder auferstehen, oder dass es Himmel und Hölle gibt. Wir beobachten auch, dass immer mehr Menschen dem buddhistischen Gedanken folgen, indem sie an Wiedergeburt als eine andere Person glauben.

Spielen esoterische Strömungen auch eine Rolle?

Auch die sind in Deutschland stark vertreten. Da haben die Menschen zum Beispiel das Gefühl, dass der Ehepartner noch in irgendeiner Form vorhanden ist. Aber natürlich sind da auch viele, die sagen: Das war's. Die Frage muss sich jeder selber stellen. Mit dem eigenen Tod befasst man sich ja eigentlich erst, wenn es einen wirklich betrifft. Und jeden betrifft es irgendwann. Vielleicht ist es da gut, wenn man sich frühzeitig mit Ritualen befasst, die einem Halt geben.

Dazu gehört ja auch die Ausstattung des Sarges. Was nehmen die Deutschen mit ins Grab?

Die meisten geben ihren Verstorbenen nichts mit. Sie sehen auch nicht in den Sarg und trauen sich oft nicht, etwas in das Grab zu werfen. Bei meinem Vater war das ganz anders: Wir haben ihm so viele Sachen mit in den Sarg gegeben, dass wir uns wie bei einem vollbepackten Koffer schon fast drauf setzen mussten, um ihn zu schließen. Das waren Blumen, Puppen, Plätzchen, eine Flasche Kölsch, Karnevalsorden, tausend Sachen. Früher war es wenigstens üblich, dass man ein Innungszeichen mit in den Sarg gab. Kürzlich hat bei uns jemand, dessen Vater Schmied war, einen dreißig Kilo schweren Amboss mit ins Grab gelegt. So lange es nicht hochexplosiv ist, kann man eigentlich alles mit in den Sarg geben.

Warum ist es in Ihren Augen wichtig, den Verstorbenen etwas mit in den Sarg zu geben?

Das Ur-Interesse der Hinterbliebenen ist doch, sich gut zu fühlen. Man möchte sich einbringen, der Beziehung, Liebe und Trauer Ausdruck verleihen. Es gibt diesen schönen Satz von Mascha Kaléko: Den eigenen Tod stirbt man nur, aber mit dem Tod des anderen muss man leben. Was man sich aber auch vergegenwärtigen sollte: All das, was wir über die Völker aus den vergangenen Jahrhunderten wissen, entnehmen wir ihren Gräbern – was spannend in ihrem Leben war, was ihnen wichtig war, was sie gegessen haben. Diejenigen, die später mal unsere Überreste finden, werden sagen: Die Deutschen waren gesetzestreu und hygienisch einwandfrei. Die Gräber sind alle gleich, da steht dann auf polierten Steinen aus Indien ein einzelner Name und fertig. Wir liegen steril und fast nackt im Sarg und verschwinden einfach.

 

Interview: Lilian Schmitz

David Roth ist gemeinsam mit seiner Schwester Geschäftsführer des Bestattungshauses Pütz Roth in Bergisch-Gladbach, das sie von ihrem 2012 verstorbenen Vater Fritz Roth übernommen haben, der den ersten privaten Friedhof in Deutschland gegründet hat. David Roth ist ausgebildeter Trauerbegleiter und Berater. Zusätzlich zu ihren Bestattungsgärten bietet Pütz Roth auch einen virtuellen Friedhof an, bei dem Bilder der Grabplätze und Urnen online betrachtet werden können.


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