Christian und sein Film

Director's Statement

Er hört 28 Minuten Musik am Tag, hält Politiker für bestechlich und korrupt. Er hat Wehrdienst geleistet und 117 mal im Jahr Geschlechtsverkehr. Er ist katholisch und glaubt an ein Leben nach dem Tod, geht aber nur einmal im Jahr in die Kirche. Er sieht in der deutschen Wiedervereinigung eher einen Verlust als einen Gewinn und spricht am Tag 15.669 Wörter. Seine Frau heißt überraschenderweise nicht Lieschen sondern Sabine. Und mit ihrem fünfzehnjährigen Sohn Jan wohnen sie zusammen zur Miete in einer 90-Quadratmeter-Wohnung.

Stundenlang könnte ich fortfahren, diese Details aufzuzählen. Wirklich alles scheint über Thomas Müller bekannt zu sein. Sogar das Gewicht des morgendlichen deutschen Kothaufens wurde mit exakt 219 Gramm bestimmt. Wie die Herrn Statistikdetektive das ermittelt haben, soll ruhig ihr Geheimnis bleiben.

Für jeden von uns liegt der Reiz an dieser Informationsfülle darin, dass man sich mit ihr abgleicht. Verdiene ich mehr oder weniger als der Durchschnitt? Brauche ich mehr oder weniger Schlaf? Habe ich mehr oder weniger Sex im Jahr? Und neben dieser Neugier wirft diese Statistikflut in mir auch neue Fragen auf. Denn obwohl dieser gläserne Durchschnittsdeutsche bis ins kleinste Detail erforscht ist, bleibt mir dieses „Über-Ich“ als unser aller Repräsentant erstaunlich fremd. Bin ich ein Teil von ihm? Oder ist er ein Teil von mir?

Fragen, die mich nicht mehr losgelassen haben. Vor allem wenn man bedenkt, welche Macht dieser Thomas Müller über uns alle besitzt. Politik, Medien, Wirtschaft – alle richten sich nach der Meinung der Familie Müller. Nicht Frau Merkel, nicht Herr Gabriel oder der Präsident des Bundesverfassungsgerichts sind die einflussreichsten Deutschen. Nein, es sind diese drei Müllers. Was bei Thomas Müller durchfällt, kommt nie als Produkt auf den Markt oder als Sendung ins Fernsehen. Wenn Thomas Müller einmal niest, dann bekommt ganz Deutschland einen Schnupfen. Er, der trotz seiner steckbriefartigen Identifikation bisher immer ein gejagtes und unbekanntes Phantom geblieben ist. Zumindest bis jetzt.

Der Film "Wer ist Thomas Müller?" hat sich zum Ziel gesetzt, endlich diesen Thomas Müller, den Durchschnittsdeutschen, in Fleisch und Blut zu finden. Es ist eine Reise, auf der ich viele Menschen treffe: einen Musiker, einen Soldaten, einen Koch, einen Fußballer, einen Ausländer, einen Wissenschaftler, einen Jugendlichen u.v.a. Alles Individuen und doch der Durchschnitt, zumindest dem Namen nach. Denn sie alle haben eins gemeinsam: Sie heißen Thomas Müller.

Ist einer von diesen der Gesuchte? Sind sie das Tor zum deutschen Verständnis oder doch nur ein Mosaiksteinchen im großen Ganzen? Dieser Film ist eine spannende, lustige und nachdenkliche Odyssee durch unsere Republik - quer durch Zeit und Raum. Eine Jagd, auf die ich den Zuschauer mitnehme und an der er aktiv transmedial im Internet teilnehmen kann. Mein augenzwinkernder Versuch, zu verstehen, wer wir eigentlich sind.


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